Der lokale Hang zur Geringschätzung des Realitätsprinzips, der sich regelmäßig in politischen Anmaßungen aktualisiert, geht in eine neue Runde. Nachdem Freibergs populistischer Oberbürgermeister in Ignoranz sämtlicher Dienstwege einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin schicke und die Begleichung vermeintlicher Integrationskosten forderte (die zum Großteil aus den Kosten der „Stadtsheriffs“ genannten Sandkastenpolizei bestehen, mit denen die Stadt jedes Jahr sechsstellige Beträge verbrennt, um das „subjektive Sicherheitsempfinden“ zu erhöhen), hat nun der Stadtverband der CDU als Reaktion auf die Bundestagswahl und in Antizipation des erwartbaren Rechtsschwenks der sächsischen Union die „Freiberger Thesen“ veröffentlicht, die sich wie eine Kopie der zentralen Forderungen der AfD liest: Merkel muss weg, Ausländer raus, Solidarität mit Putin und Schluss mit der Klimalüge. Da wundert man sich, warum Holger Reuter, dessen Büro einst eine Deutschlandkarte in den Grenzen von 1936 zierte, nicht noch ein paar geschichtsrevisionistische Thesen nachgeschoben hat? Erste Übertritte in die AfD dürften folgen, sofern diese sich auf kommunaler Ebene konsolidiert. Freiberger Zustände eben.
Stadt-CDU fordert neue Parteispitze im Bund
erschienen in Freie Presse vom 5. Oktober 2017
Christdemokraten aus Freiberg verlangen den Rücktritt von Angela Merkel als Bundesvorsitzende und von Peter Tauber als Generalsekretär der Union. Das geht Parteifreunden aber zu weit.
Von Steffen Jankowski
Freiberg – Nach heftigen Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl vor knapp zwei Wochen hat sich der Vorstand des CDU-Stadtverbands Freiberg für einen Kurswechsel in der CDU ausgesprochen. Eine Kernforderung des Thesenpapiers, das an Parteigremien in Bund, Land und Kreis weitergeleitet werde, sei laut Stadtverbandschef Holger Reuter die „Wiederherstellung“ innerparteilicher Demokratie: „Die Mitglieder müssen endlich wieder ernst genommen werden. Es muss wieder möglich sein, den innerparteilichen Diskurs ohne Denkverbote und Bevormundung von oben führen zu können.“ Dafür sei der Rücktritt von Generalsekretär Peter Tauber unabdingbar, so Reuter.
Für den Vorsitzenden der Kreistagsfraktion aus CDU und Regionalbauernverband, Jörg Woidniok, ist auch der Rücktritt von Angela Merkel vom Parteivorsitz für den Erneuerungsprozess der CDU unabdingbar: „Sie trägt die Schuld für die verfehlte Asylpolitik und den Kontrollverlust der Bundesregierung in der Asylkrise.“ Damit sei aber nicht die Forderung nach einem Rücktritt als Bundeskanzlerin verbunden, stellte Woidniok auf Nachfrage klar. Die CDU müsse zu schnellen Lösungen kommen, die der Bürger wieder verstehe, so der Amtsleiter in Freiberger Rathaus weiter: „Dazu zählen ein sofortiger Aufnahmestopp von Flüchtlingen genauso wie die sofortige Abschiebung aller Ausreisepflichtigen und kriminellen Asylbewerber.“
Weiter sprechen sich die Freiberger Christdemokraten für ein Ende der Sanktionspolitik gegen Russland und gegen Verschärfungen des Umweltrechtes aus, die wirtschaftliche Entwicklungen gefährden oder behindern. Die Verantwortung für den Ausbau eines flächendeckenden Breitbandnetzes solle der Bund übernehmen. Die Energiepolitik dürfe sich nicht auf die Förderung regenerativer Energien beschränken, sondern müsse auch Brückentechnologien wie die Braunkohle berücksichtigen.
CDU-Landtagsmitglied Steve Ittershagen wünscht sich für die Sächsische Union eine deutliche Abgrenzung zur Bundespartei: „Sie soll insbesondere im Hinblick auf die Berliner Politik mit einer klaren und bundesweit vernehmbaren Stimme sächsische und deutsche Interessen vertreten.“ Dabei müsse sie wieder den Charakter einer Volkspartei erhalten, unter deren Dach alle Strömungen – wie zum Beispiel Arbeitnehmer und Wirtschaft, Liberale und Konservative, die Menschen in urbanen und ländlichen Räumen – ihren Platz finden, so der Freiberger.
CDU-Kreischef Sven Liebhauser wollte gestern nicht so weit gehen, die Rücktrittsforderungen an Merkel und Tauber zu unterstützen. Er erwarte aber eine kritische Auswertung und dass künftig die Stimmung im Volk berücksichtigt werde, so der Döbelner. Auch seitens der Landespartei wurde gestern keine Notwendigkeit zur Demission der zwei CDU-Spitzenpolitiker gesehen. Der Vorstoß der Freiberger sei ein Zeichen für die Meinungsfreiheit innerhalb der Partei, so Pressesprecher Stephan Dreischer: „Da wird niemand mundtot gemacht.“ Allerdings sei Kritik innerhalb der Partei zielführender: „Am 25. Oktober ist dazu Gelegenheit auf einer Konferenz mit 800 Mandatsträgern unserer Partei.“ Eine Bitte um Stellungnahme an die Berliner Parteizentrale blieb gestern unbeantwortet.
Die Forderungen des Thesenpapiers beträfen „zum großen Teil Grundzüge der Politikgestaltung, die vom Vorstand des Freiberger Stadtverbandes schon vor der Bundestagswahl in die politische Diskussion eingebracht wurden, betont Holger Reuter: „Nur wurden sie leider nicht gehört.“ (mehr…)